Ist eine Leistungsdiagnostik auch für Hobby-Radsportler sinnvoll?
Die Straßensaison ist vorbei. Für manche beginnt nun das Wintertraining oder die MTB- bzw. die Cross-/Querfeldeinsaison. Der ideale Zeitpunkt, um sein bisheriges Training Revue passieren zu lassen und über die vergangene Saison ein Fazit zu ziehen.
Weshalb eine Leistungsdiagnostik für alle Radsportler – egal, in welcher Leistungsklasse sie sich befinden – zur Trainingssteuerung sinnvoll ist und weshalb sie die Grundlage eines jeden Trainings sein sollte, klären wir in diesem Artikel auf.
Was ist überhaupt eine Leistungsdiagnostik?
Inhaltsverzeichnis
Eine Leistungsdiagnostik zeigt schwarz auf weiß den aktuellen Trainingsstand. Dieser wird unter steigender Belastung ermittelt. Entweder auf einem Fahrrad Ergometer oder mit dem eigenem Fahrrad, eingespannt in einen Leistungsmesser.
Dabei beginnt der Test mit einem niedrigen Wattwert – zum Beispiel 100W, bemessen nach dem individuellen Leistungsstand. Die Wattzahl – also der Widerstand, wird von Beginn an nun sukzessive erhöht.
Die Stufen variieren hier von Anbieter zu Anbieter. Möglich ist zum Beispiel eine Steigerung von 20 Watt alle 3 Minuten oder auch 25 Watt jede Minute. Um gute Vergleichswerte zu haben, sollte man daher immer wieder denselben Test, beim selben Institut machen.
Der Leistungstest wird bis zur absoluten persönlichen Belastungsgrenze durchgeführt, bis nichts mehr geht und der Maximalpuls erreicht ist (man also quasi tot vom Rad fällt).
Währenddessen wird dauerhaft die Herzfrequenz aufgezeichnet und nach jeder absolvierten Stufe wird aus dem Ohrläppchen ein Tropfen Blut entnommen, um den Laktatwert zu messen.
Was ist Laktat?
Mit steigender Belastung steigt auch der Anteil des Laktats im Blut. Grob gesagt ist Laktat – auch Milchsäure genannt – ein Abfallprodukt im Stoffwechselvorgang, um Bewegungen im Körper zu erzeugen.
Im Ruhezustand oder bei niedrigen Intensitäten wird dieses Laktat immer gleich wieder abgebaut, sodass die Konzentration im Blut gleichbleibend ist (circa 1,6 mmol/l). Steigt die Belastung, steigt auch das Laktat im Blut.
Der Organismus ist bei steigender Intensität irgendwann nicht mehr fähig, den Level gleich zu halten, also steigt der Wert an. Je später der Anstieg ist, desto höher ist die eigene Ausdauerleistung.
Aerob-Anaerobe Schwelle
Die aerob-anaerobe Schwelle bezeichnet den Punkt, an dem der Laktatabbau gerade noch im Gleichgewicht zur Laktatbildung steht. Erfahrungswerte zeigen, dass dieser bei ungefähr 4mmol pro Liter liegt. Aufgrund dieser Schwelle in Verbindung mit der entsprechenden Herzfrequenz, werden die Trainingsbereiche errechnet.
Die Trainingsbereiche für Radsportler
KB = Kompensationsbereich
50-60% der maximalen Herzfrequenz
Laktat: 1,6-1,7 mmol/l
Bereich für Erholungsphasen zum Beispiel nach intensiven Trainingseinheiten oder vor Rennen, wird auch als Regenerationsbereich betitelt.
Trainingseinheiten: bis 1,5 Stunden
GA1 = Grundlagenausdauer 1
60-70% der maximalen Herzfrequenz
Laktat 1,7-2,0 mmol/l
Macht den größten Teil des Trainings aus. Verbesserung der aeroben Kapazität, Verbesserung des Fettstoffwechsels.
Trainingseinheiten: 1-6 Stunden
GA 2 = Grundlagenausdauer 2
70-80% der maximalen Herzfrequenz
Laktat 2,0-2,7 mmol/l
Intensive Grundlagenausdauer, Bindeglied zwischen lockeren und intensiven Einheiten.
Trainingseinheiten: 30 Minuten – 3 Stunden
EB = Entwicklungsbereich
80-90% der maximalen Herzfrequenz
Laktat 2,7-4,7 mmol/l
Wettkampfspezifisches Ausdauertraining.
Trainingseinheiten: lange Intervalle (bis 30 Minuten)
SB = Spitzenbereich
90-100 % der maximalen Herzfrequenz
Laktat 4,7-10 mmol/l (oder mehr)
Training an der Leistungsgrenze um diese positiv zu erhöhen.
Trainingseinheiten: kurze Intervalle, Sprints
Warum ist eine Leistungsdiagnostik sinnvoll?
Egal auf welchem Niveau wir fahren, Tourenfahrer, RTF-Gewinner, ambitionierter Hobbyfahrer, Jedermann-Rennfahrer oder Leistungsfahrer. Wir alle wollen nur eins: Aus der vorhandenen Zeit, die wir zum Trainieren haben, den größtmöglichen Nutzen ziehen.
Und das ist nur mit individuell angepasstem Training möglich. Mit den Daten aus einer Leistungsdiagnostik ist eine genaue, individuell angepasste Trainingssteuerung möglich.
Persönliche Erfahrung
Mit meiner persönlichen Erfahrung kann ich nun eventuell auch den letzten Skeptiker überzeugen, sich ein wenig Blut vom Ohrläppchen abzapfen zu lassen.
Im April letzten Jahres war ich zum ersten Mal bei Ralf Boie. Zur Vervollständigung: Es war mitten in der Saison, ich hatte bereits mein Trainingslager hinter mir und die ersten Rennen bestritten. Diese aber, trotz vieler Trainingskilometer, nicht zufriedenstellend beendet.
Ich habe an diesem Tag also das Prozedere, dass ich weiter oben nun ausführlich beschrieben habe, durchlebt. Beginnen wir beim Ende des Tests. Ich sitze keuchend auf meinem Rad. Ich habe soeben mein absolutes Maximum gegeben und bin an meine Grenzen gegangen. Maximalpuls: 185, nichts geht mehr. Während ich langsam wieder klar denken kann und gemächlich auf meinem eingespannten Rad auskurbel, beobachte ich Ralf, wie er mit der Stirn runzelnd auf den Bildschirm des Computers starrt.
Er murmelt etwas in seinen (nicht vorhandenen) Bart, tippt, kratzt sich am Kopf, murmelt wieder was. Ich bin verunsichert und frage nach, was los ist. „Fährst du viel mit Männern?“ ist seine Gegenfrage. Äh, ja. „Fährst du NUR mit Männern, also nie alleine?“. Jetzt bin ich noch mehr verunsichert, denke über die eben gestellte Frage intensiv nach und antworte nach kurzem Zögern wieder mit „Ja“.
Lange Rede – kurzer Sinn: Das Ergebnis war eindeutig. Ich habe immerzu „überpaced“ – war also stets zu schnell unterwegs, weil meine Trainingsgruppe vornehmlich aus starken Elite- und Seniorenfahrern besteht. Das hat dazu geführt, dass es um meine Grundlage – also das Fundament meiner Ausdauer – sehr schlecht steht. Dafür war der EB (Entwicklungsbereich) – anaerob – ziemlich gut trainiert. Aber das bringt einem nichts, wenn das Grundgerüst Lücken aufweist. Ich habe also viele harte Trainingskilometer abgespult, ohne einen wirklichen Effekt davon gehabt zu haben.
Trainingsempfehlung für mich: Fahr alleine, ruhig, Dein Tempo, Maximalpuls 140.
Ich tat, wie mir befohlen wurde. Und siehe da, meine Palmarès kann sich dieses Jahr durchaus zeigen lassen (Geübte Stalker unter euch wissen, wo die Ergebnisse veröffentlich sind) um es anders auszudrücken – meine beste Saison, seit ich auf dem Rad sitze (immerhin schon seit 2008).
Und weil ich ja lernfähig bin, habe ich einen zweiten Test nach meiner Saisonpause im Oktober gemacht. Gleiches Prozedere, nur völlig anderes Ergebnis. Zum Glück habe ich einen zweiten Test gemacht! Ich habe nämlich für Dezember bereits wieder eine Woche Mallorca gebucht und hätte so ruhig weiter trainiert. „Das wäre zwar schön für dich gewesen, hätte dein Herz-Kreislauf-System aber nicht gefordert“ entgegnet mir Ralf. „Da hätte dein Leistungsstand stagniert“.
Meine Grundlage hat sich also über die Saison deutlich verbessert, so dass ich folglich andere Reize setzten muss. Neue Ansage: höhere Grundlage fahren und das Training um Intervalle ergänzen. Was es bringen wird? Das sehe ich dann bei der nächsten Leistungsdiagnostik. Denn nur durch die ständige Kontrolle meines Leistungsstands kann ich entsprechend in mein Training eingreifen und es ggf. anpassen.
So ist eine optimale Trainingssteuerung möglich, von der auch Hobbysportler profitieren können, egal ob im Radsport, Laufen, Triathlon oder anderen Ausdauersportarten.
Bildquelle: Wavebreak Media Ltd. © 123RF.com
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